Politische Ziele für naturnähere öffentliche Wälder
- In den öffentlichen Wäldern Deutschlands (Bundes-, Landes- und Kommunalwälder) sollte der Naturschutz und die Erholung der Bevölkerung oberste Priorität haben. Öffentliche Wälder machen bei uns ca. 30% der Waldfläche aus.
- Anstelle von forstlichen Wirtschaftswäldern überwiegend naturnah bewirtschaftete Wälder in Deutschland mit Eingriffen im Starkholz der Güteklassen A und B
- Starkholz der Güteklasse C und D als wertvolles Totholz für die Artenvielfalt erhalten
- Rückegassen alle 60 – 80 m, in seltenen Fällen auch 40 m
- die politisch schon beschlossenen 10% Naturwälder ohne wirtschaftliche Eingriffe für die Biodiversität und zu Forschungszwecken bundesweit strikt einhalten
- überwiegend standortsheimische Baumarten mit der Hand pflanzen
- Forstwirtschaftlich relevante Fremdländer wie Douglasie, Roteiche und Japanlärche wenn überhaupt in sehr geringen Anteilen beimischen
- Bejagung (Abschusspläne) deutschlandweit so festlegen, dass die Naturverjüngung der relevanten Baumarten möglich ist (vor allem Eiche, aber auch Ulme, Esche, Erle, Kirsche Tanne u.a.) – die Buche verjüngt sich schon jetzt recht gut! Auch andere Naturverjüngung wie Salweide, Zitterpappel (Aspe), Eberesche und sonstige Weichlaubhölzer auf den Flächen belassen
- auch der Wolfsburger Stadtwald sollte naturnah bewirtschaftet werden, mit Nutzung aller Naturverjüngung und mit einem Totholzanteil von weit über 40 m³/ha; die Eiche kann in Femellöchern zwischen 0,1 – 0,2 ha mit der Hand verjüngt werden, Freiflächen über 0,5 ha sind verboten (Grenze kann abgesenkt werden)
- Düngung und Spritzmittel sind abzulehnen oder nur in Abstimmung mit Umweltverbänden und Umweltämtern zu genehmigen. Beispielsweise kann die Polterspritzung notwendig werden, wenn das Holz nach dem Einschlag nicht sofort abgefahren werden kann
- Die Verkehrssicherungspflicht im Wald fallen sehr viele alte und dicke Bäume zum Opfer! Aus Gründen der Vorsicht, aber leider auch aus wirtschaftlichen Gründen für Einnahmen. Grundsätzlich muss hier die Rechtsprechung so geändert werden, dass Forstpersonal und Waldbesitzer für waldtypische Gefahren nicht zur Haftung herangezogen werden können. Im Prinzip muss laut geltender Rechtsprechung auch nur an öffentlichen Straßen für die Verkehrssicherung gesorgt werden. Das wurde in der Vergangenheit jedoch rechtlich auch anders ausgelegt, laut Aussagen von Förstern. So ist eine Unsicherheit entstanden. Grundsätzlich muss jeder Waldbesucher mit der Gefahr von herabfallenden Ästen im Wald umgehen können. ohne gleich einen Rechtsstreit vom Zaun zu brechen.
Eine Stellungnahme von mir zum „Lübecker Waldmodell“:
Klimawandel gefährdet Wolfsburger Stadtwald – BUND und NABU fordern „Lübecker Waldmodell“
Welche Bewirtschaftung des Wolfsburger Stadtwaldes trägt dazu bei, dass er den kommenden Herausforderungen des Klimawandels trotzt und dazu beiträgt, das Artensterben einzudämmen?
Um Antworten auf diese Frage zu erhalten, lud die Stadt Wolfsburg im März 2023 auf Initiative des BUND hin Herrn Dr. Lutz Fähser, Leitender Forstdirektor im Ruhestand aus Lübeck, als Vortragenden im Ausschuss für Umwelt, Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein.
Dr. Lutz Fähser war maßgeblich an der Entwicklung und Umsetzung des sogenannten „Lübecker Modells“ beteiligt. Das „Lübecker Modell“ ist ein Waldbaumodell und steht für eine naturnahe Waldbewirtschaftung. Aufgrund seiner gleichzeitig ökologischen und ökonomischen Erfolgsgeschichte wurde es zur Basis des „Naturland“-Zertifikats.
Der Lübecker Stadtwald erfreut die Lübecker mittlerweile als einer der auch im Klimawandel stabilsten und artenreichsten Stadtwälder mit Erholungsfaktor in Deutschland. Mehre Städte haben sich auf den Weg des „Lübecker Modells“ begeben und sichern so die Zukunft ihres Stadtwaldes für ihre Bürger.
Ein wesentlicher Ansatz des „Lübecker Modells“ ist es, dass sich der Wald natürlicher und damit dichter entwickeln kann, also in einer Übergangszeit möglichst keine oder nur wenige Holzentnahmen verzeichnet. Die Verdunstung des Wassers von Pflanzenoberflächen und ein geschlossener Baumkronenraum halten das Wasser in kleinen Kreisläufen, binden Sonnenenergie und kühlen den Wald und seine Umgebung. So kann der Wald den Folgen des Klimawandels wie Hitze und Dürre deutlich besser standhalten.
Vergleicht man dies mit dem Wolfsburger Stadtwald, stellt man fest, dass hier – trotz insgesamt ansehnlicher Eichenbestände – zahlreiche Stellen im Stadtwald stark aufgelichtet sind (im Kronenraum der stärksten Bäume). Mit rund 350 m³ bietet der Wald nur etwa die Hälfte an Holzvorrat, die ein stabiler Naturwald aufweist (700 m³/ha). Damit ist der Wolfsburger Stadtwald auch deutlich weniger vital und den Anforderungen der Zukunft nicht ausreichend gewachsen.
Als Empfehlung für einen Neustart in eine vitale und somit zukunftssichere Entwicklung des Wolfsburger Stadtwaldes wird von Herrn Dr. Fähser empfohlen, anstelle von Neupflanzungen auf entstandenen Freiflächen diese Flächen mindestens zehn Jahre lang nicht anzufassen. In den allermeisten Fällen verjüngt sich der Wald mit ausreichend vielen Baumarten von selbst. Diese Naturverjüngung speichert zudem vom ersten Tag an Kohlenstoff, während die menschengemachte Anlage von Kulturflächen in den ersten 10 bis 20 Jahren, beispielsweise aufgrund von Freiflächen und Bodenbearbeitung, Kohlendioxid ausstößt.
Das „Lübecker Modell“ verzichtet zudem auf eine kostenintensive sogenannte Jungbestandspflege, bei der die Forstwirtschaft immer wieder eingreift. In Lübeck wachsen die Bäume in den ersten 40 Jahren ohne Eingriffe des Menschen. So entwickeln sich die Wälder vielgestaltig und es setzen sich die vitalsten Bäume durch, die den Folgen des Klimawandels am besten trotzen.
Die Holzernte ist auch nach dem „Lübecker Modell“ kein Tabu. Schließlich handelt es sich beim Holz um einen begehrten und nachhaltigen Rohstoff. Allerdings erntet man dort wesentlich später. Es wird fast nur wertvolles Starkholz geerntet. Um dabei den hoch sensiblen Waldboden nicht auf Jahrtausende zu verdichten, wird auf den Einsatz tonnenschwerer Harvester vollständig verzichtet und die Stämme werden mit einem Seil aus dem Wald gezogen. Die für die Holzernte erforderlichen sog. Rückegassen, also die Wege, auf denen Fahrzeuge in den Wald fahren, haben im Lübecker Wald überwiegend einen Abstand von 80 Metern. Zum Vergleich: In Wolfsburg wird der empfindliche Waldboden ca. alle 20 Meter durch Rückegassen verdichtet. Dies entspricht einer Bodenverdichtung von ca. 20% der gesamten Waldfläche.
Im Lübecker Stadtwald gibt es keine großflächigen Maßnahmen bei Schadereignissen, wie sie zum Beispiel bei einem Borkenkäferbefall oft ergriffen werden. Schadholz verbleibt im Wald, es schützt den Boden vor Austrocknung und fügt ihm wertvollen Humus zu. Zu einer überproportionalen Ausbreitung von Schädlingen kommt es dennoch nicht, da die Artenvielfalt und Vitalität des naturnah bewirtschafteten Waldes ausreichend Abwehrkräfte bieten.
An dieser Stelle kommen wieder einmal Zweifel auf, ob die Fällung und Entnahme von rund 500 Eichen im Wolfsburger Stadtwald in den vergangenen Monaten sinnvoll war. Neben der Tatsache der zusätzlichen Auflichtung und der damit im Sommer schlechteren Kühlung wurde ggf. eine große Chance vertan, den Start für eine eigenständige Anpassung des Wolfsburger Stadtwalds an die Folgen des Klimawandels zu vollziehen.
Im Lübecker Stadtwald wird keine gezielte Eichenpflege betrieben. Dennoch hält sich auch dort ein über dem Landesschnitt liegender hoher Eichenanteil von 20% von ganz allein. Dieser Anteil kann in Zeiten von mehr Sonneneinstrahlung sogar ansteigen, da die Eiche eine sogenannte Lichtbaumart mit Hitzetoleranz ist. Deshalb könnte in Wolfsburg zukünftig auch auf die sehr teuren Eichenkulturen auf Kahlschlägen (25.000 – 40.000 Euro/ha) verzichtet werden. Der Zinseffekt dieser hohen Anfangsinvestitionen und nachfolgender Pflegekosten macht einen derartigen Waldbau auf Dauer unwirtschaftlich. Ökologisch sinnvoller und wirtschaftlicher ist die Handpflanzung auf kleinen Flächen (sog. Löchern) von 0,1 – 0,3 ha, geschützt vor Wildverbiss mit einem leichten, mehrfach verwertbaren Wanderzaun.
Das „Lübecker Modell“ erweitert den Lebensraum des Mittelspechts als wertbestimmende Vogelart im Vogelschutzgebiet 48 (Wolfsburg) durch konsequente Erhöhung des Lebensalters der standortheimischen Laubbäume auf über 160 Jahre und in den nutzungsfreien Flächen bis zum natürlichen Zerfall.
In Wolfsburg steht die Planung für den sogenannten Forsteinrichtungsplan an: Im Jahr 2026 soll die Bewirtschaftung des Stadtwalds für die kommenden 10 Jahre verbindlich festgeschrieben werden. Besitzer des Stadtwaldes ist die Stadt Wolfsburg. Der BUND und der NABU aus Wolfsburg fordern die Stadt Wolfsburg daher auf, den Stadtwald gemäß dem „Lübecker Modell“ zu bewirtschaften. Dadurch könnte er das für die Holzvermarktung begehrte „Naturland“- und FSC-Zertifikat erhalten. Damit würde die Stadt beste Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Wolfsburger Stadtwald auch kommenden Generationen als wertvoller Erholungswald inmitten des Klimastresses erhalten bleibt.
Katrin Müller-Riemenschneider (Assessorin des Forstdienstes)
BUND Wolfsburg
siehe auch auf der Homepage vom BUND Wolfsburg: „Lübecker (Wald)Modell“ für Wolfsburg (bund.net)
Presse (WAZ – Wolfsburger Allgemeine Zeitung – Juni 2023)
„WWW-Wolfsburger Waldweg“ von Kalle Weber
Stadtwald Wolfsburg – „Grundsätze des Wolfsburger Wegs“ von Kalle Weber ( Waldexperte BUND-Niedersachsen, ehemals Förster)
Das Waldentwicklungsziel für den Wolfsburger Stadtwald ist der holzvorratsreiche
ungleichaltrige vertikal und horizontal strukturierte kahlschlagfreie Dauerwald aus
standortheimischen Baumarten mit einem relativ hohem Eichenanteil, der seine
ökologischen, sozioökonomischen und klimawirksamen Aufgaben auf wirtschaftliche
Weise auf der Basis folgender Prinzipien bestmöglich erfüllt. Es ist die Grundlage für
den Bewirtschaftungsplan und wird im Rahmen der Betriebsanalyse kontrolliert. Die
Umsetzung erfolgt nach Maßgabe nachstehender Grundsätze durch den Forstbetrieb.
- Der Aufbau des Holzvolumens auf 600 Kubikmeter pro Hektar in den kommenden 40 Jahren ist waldbauliches, waldökologisches und klimapolitisches Kohlenstoff-Senkungsziel. Es bestimmt die Holznutzungsgrenze.
- 10 % der Stadtwaldfläche werden in möglichst guter Verteilung aus der Holznutzung genommen. Diese potenziellen Naturwälder werden auf Vorschlag der Stadtforst im Einvernehmen mit dem Umweltamt der Stadt Wolfsburg unter Beteiligung der Naturschutzverbände ausgewählt. Gesetzlich geschützte Biotope wie Moore, Quellen, Bruchwälder etc. werden auf diesen Flächenanteil angerechnet.
- Vorrang hat die natürliche Verjüngung standortheimischer Laubbaumarten. Ergänzungspflanzungen erfolgen nicht vor Ablauf einer zehnjährigen Eigenentwicklung, mit Ausnahme der Eichenverjüngung.
- Nach flächigen Kalamitäten verbleibt stehendes und liegendes Starktotholz auf der Fläche. Eine Pflanzung erfolgt in der Regel frühestens nach zehnjähriger Eigenentwicklung, soweit erforderlich.
- Die Sukzession einander ablösender Pflanzen- und Waldgesellschaften als Folge natürlicher Störungen wird zugelassen.
- Uraltbäume und markante Habitatbäume sind eine Besonderheit des Wolfsburger Stadtwaldes. Laubbäume über 120 Jahre außerhalb von Beständen gleicher Altersklasse ebenso wie Habitatbäume nach den Kriterien des NLWKN sind zu kartieren. Habitatbäume sind grundsätzlich zu erhalten, es sei denn, die Verkehrssicherung hat nach Einzelfallentscheidung Vorrang.
- Ein Volumen von 40 m³ stehendem und liegendem Totholz pro Hektar mit hohem Starkholzanteil, bezogen auf die Gesamtwaldfläche, ist aufzubauen und dauerhaft zu erhalten.
- Eine Ganzbaumnutzung erfolgt nicht. Das Kronenholz verbleibt im Wald.
- Pflanzungen erfolgen mit der Hand.
- Eichenpflanzungen erfolgen auf Flächen in Loch-Größe von 0,1 – 0,2 ha.
- Eine kostenintensive Jungwuchspflege ist auf Ausnahmen zu beschränken.
- Pflanzung oder Saat erfolgt ausschließlich von standortheimischen Baum- und Straucharten. In begründeten Fällen (z. B. Versuchsflächen, Sonderstandorte) können auch nichtstandortheimische europäische Baumarten gepflanzt werden. Ausgeschlossen sind Anpflanzungen von Baumarten, die nicht aus Europa stammen.
- Neue Rückegassen sind im Abstand von 60 m anzulegen. Das vorhandene Rückegassensystem ist durch Auflassung bestehender Rückegassen auf einen Abstand von 60 m anzupassen.
- Das Befahren des Waldbodens mit Großmaschinen (z.B. zur Kulturvorbereitung) unterbleibt.
- Die Nutzung von Erntebäumen erfolgt einzelstamm-, trupp- oder gruppenweise. Kahlschläge über einer Größe von 0,2 ha sind unzulässig. Pflegeeingriffe in Beständen unter 40 Jahren erfolgen nicht.
- In Beständen unter 80 Jahren sind Maßnahmen (Pflege, Nutzung) auf drei Eingriffe zu beschränken.
- Der Ernte-Zieldurchmesser für Eiche beträgt 80 cm mit Rinde als Brusthöhendurchmesser (BHD).
- Die Rückegasse ist Teil des Waldbodens. Holzeinschlag und Holzvorlieferung auf den Rückegassen erfolgen nur in Zeiten, in denen der Boden durch Trockenheit oder Frost keinen schädlichen Folgewirkungen durch mechanische Verformung unterliegt.
- Ein Befahren des Waldbodens außerhalb der Rückegassen mit Schwermaschinen z.B. zur Kulturvorbereitung unterbleibt.
- Kalkung und Pestizideinsatz inklusive Polderspritzung und Anwendung von Gentechnik erfolgen nicht.
- Ein Konzept für die Wasserrückhaltung im gesamten Stadtwald wird möglichst zeitnah umgesetzt.
- Es gilt der Grundsatz „Wald vor Wild“. Der Schalenwildbestand darf nur so hoch sein, dass ein Jungwaldaufwuchs ohne Schutzzaun möglich ist, mit Ausnahme der Eichenverjüngung, für die ein Schutzzaun notwendig ist. Bei der Jagd ist nur bleifreie Munition zu verwenden.
Grundsätzliche Abweichungsregelung:
Die Entwicklung naturnaher Wälder erfolgt über lange Zeiträume, bis sie den Zielen
weitgehend entsprechen. Neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis können zu
abweichenden Entscheidungen führen, sofern sie dem Waldentwicklungsziel nicht
entgegenlaufen und im Einzelfall begründet werden.